in memoriam Heidi Paris († 15.9.2002)
15.9.2012
Teil 1: 18 h Museum der Unerhörten Dinge Crellestr. 5-6, 10827 Berlin Teil 2
Agnes Handwerk zeigt ihren Film
Foucault in/à Berlin. 1992/2004, 20′
Kamera: AH, Hans Rombach, Rainer Schmidt
Sprecher: Hanns Zischler
In Gesprächen mit Heidi Paris, Peter Gente, Walter Seitter u.a. reflektiert der Film die Verhaftung Michel Foucaults im Dezember 1977 in Berlin. In dessen Begleitung wurde Heidi mit der RAF-Terroristin Inge Vieth verwechselt.
Eröffnung der Ausstellung 365 Zeitwörter von Heidi Paris, 1993
mit deren Vertonung als Hörspiel durch den Komponisten zeitblom. 2010, 20′
Sprecherin: Hitomi Makino
Ton: Alexander Brennecke
Redaktion: Ulrike Brinkmann
Produktion: Deutschlandradio Kultur
Dauer u. Öffnungszeiten:
19. – 28. 9. 2012, Mi – Fr 15 – 19 h
gefördert vom Senat für Kulturelle Angelegenheiten |
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mit freundlicher Genehmigung von |
Teil 2: 22 h Club u. Galerie WYSIWYG Revaler Str. 19, 10245 Berlin-Friedrichshain
Blixa Bargeld: Lesung eines Gesprächs von Tomoko Takemura, seiner japanischen Übersetzerin von Stimme frißt Feuer (Merve, Berlin 1988) mit Peter Gente
Optische Anstalt – Optische Industriegesellschaft (Dia-Vortrag von Heidi Paris, 1983)
Eröffnung der Ausstellung
Der Spaghettistuhl |
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50 Zeichnungen von Heidi Paris, 1982
Ein Katalog mit drei Reden zum Design von Heidi Paris erscheint im Merve-Verlag.
Moderation:
Marianne Karbe u. Magdalena Ziomek-Frąckowiak
Dauer u. Öffnungszeiten:
18. 9. – 26. 10. 2012. Di – Do 19 – 24 h, Fr 19 – 22 h
Kooperation mit gefördert vom Senat für Kulturelle Angelegenheiten
[Das folgende Gespräch von Blixa Bargelds japanischer Übersetzerin Tomoko Takemura (TT) mit Peter Gente (PG) aus dem Winter 2002 übersetzte TT für PG im Jahre 2003 zurück ins Deutsche. Es figuriert als Anhang ihres 2004 erschienenen Buches Eklipsenjagd]
PG Wir kennen Blixa sehr lange. Wir haben kennengelernt, ca. ‑77, 78, 79… Wir waren in den gleichen Kneipen, “Risiko”, Dschungel”, in den gleichen Konzerten. Er machte Musik seit 80, dann hat Blixa bei uns, bei Partys in unserer Etage DJ gemacht. Wir machen einmal oder zweimal im Jahr große Party, dann kommen die alle möglichen. Blixa hat 2 oder 3 mal bei solcher Party Musik aufgelegt. Dann kannte er natürlich uns auch, kannte unsere Bücher. Unsere Bücher sind sozusagen immer ziemlich schwierig. Und sie sind nicht unbedingt populär. Wir haben neben der Rezeption französischer Autoren immer auch Berliner zeitgenössische Künstler publiziert. “Geniale Dilletanten”, Hanns Zischler, Oskar Huth, Kippenberger, also wir haben immer sozusagen unsere Welt in Berlin dokumentiert, in dem wir Bücher gemacht haben, einzelnen Figuren, und in dem Zusammenhang hat Blixa irgendwie einmal gesagt, er möchte bei Merve ein Buch machen. Das hat er gesagt, ganz früh ’82. In einer Zeitschrift 4 Taxis, eine französische Zeitschrift, die Kippenberger gemacht hat. Und da ist ein ganz kurzes Interview und sagte er, er möchte ein Buch mit Merve machen.
Und dann haben wir immer wieder uns getroffen und auch geredet und dann sagen wir so ungefähr … es ist 1988 erschienen. Und dann etwa ‑85, ja, sagte er: “Ich habe eine Plastiktüte mit Kalender, Papier”. Und dann hat er uns die mal gezeigt. Er hat die Plastiktüte irgendwie vergessen, verloren, im Taxi, dann wieder gefunden, und dann hat Heidi alles kopiert und dann sozusagen auf dem Boden ausgelegt und versucht, ein Konzept zu entwickeln. Wir haben immer die Bücher auch selber komponiert. Wir haben oft Bücher gemacht von Leuten, die gar keine Bücher schreiben. Zu dem Zeitpunkt war er noch sehr jung, und es war gar nicht so seine Welt eigentlich. Heidi hat das dann zusammengestellt nach seinem Körper auch, und dann haben wir ihm was vorgeschlagen und dann hat er gesagt: “das nein, das ja”. Dann hat er noch ein paar weitere Texte und auch Zeichnungen gebracht: “Hier ist noch was, der Kopf” usw. Dann wieder hin und zurück, es dauerte ganze Weile, fast ein Jahr.
Es war so, er wollte und wir wollten auch Kalligraphie oder Schrift. Wenn man Schrift liest, dann kommt einem auch Musik ins Ohr. Wir wollten das auch ein bisschen so, die Entstehung dieser Texte, weil unser Konzept diesen Entstehungsprozess selbst noch mal abbilden will. Das war unsere Idee.
TT Heidi hat mir mal gesagt, dass Ihr dieses Buch als „Körper des Dichters” gestaltet hattet.
PG Ja, er ist nicht einfach gekommen und hat gesagt: “Hier ist das Manuskript, schaut Euch das mal an! Kannst du lesen? Ist das gut, ist das schlecht?”, sondern er hat uns Material gegeben. Und wir haben inhaltlich mit ihm über das Material diskutiert. Wir kannten die Musik, wir haben die Musik oft gehört und wir haben sozusagen aus dem Material versucht, etwas Typisches, sozusagen seine Physiognomie als Typ, als einer, der auch mit dem Körper sich sehr beschäftigt, irgendwie authentisch zu komponieren. Es ist schwer, darüber jetzt so viel näher zu sagen …. Wir haben auch 10,000 Exemplare jetzt verkauft. Das Buch ist so, wie ein erstes Buch oder wie Blixa Bargeld als Dichter.
TT Ich habe auch in diesen 10 Jahren viele Materialien gesammelt. Jetzt versuche ich, daraus irgendwas zu komponieren, aber was ich komponieren möchte, ist nicht den lebendigen Blixa sondern sein “Bild”, den Entstehungsprozess dieses Images, denn ich bin ja bloß ein Fan …
PG Das sind wir auch, klar. Ich sage auch, wir sind Foucault Fans. Foucault Fan, Deleuze Fan, von nicht Philosophen oder Interpreten, ja. Das nennt man in Deutschland nicht akademisch und viele finden es auch fragwürdig …
TT In Japan auch!
PG Heidi hat auch mal 1977 so ein “Fanzine” gemacht. Auch über Heidi” und den Zeichentrickfilm „Heidi”. Und über “Suicide” auch.‑ Da war noch die Gruppe “Suicide”. Zwei amerikanische Musiker. Gitarre … und sie machen so ein bisschen Rock ‘n Roll, Blues, Boogie, aber gut, sehr gut. Eine Musikduo aus Amerika, die in Berlin Konzerte gegeben haben, z. B. im „Dschungel”. Da waren wir damals oft und waren beide sehr begeistert und haben Platten gekauft, und dann hat sie ihre Zeitung gemacht. Aber die st irgendwie verschwunden, tauchte nicht mehr auf.
TT Wo war „Dschungel”?
PG „Dschungel’ war zuerst am Winterfeldplatz. Das war sozusagen ’64 bis ’80. Und dann ’80 bis ’90 war der „Dschungel“ in der Nürnberger Straße. Da ist auch auf der linken Seite ein schönes „Modern style house”. Das hatte eine schöne Treppe. Und da waren wir jahrelang fast jeden Tag. Wir haben immer sehr lange gearbeitet, und danach wollten wir was trinken und Freunde treffen. „Dschungel“ war immer ein Lokal, wo der Name nicht dran stand. Das wußten die Leute, die da hingingen; wer es nicht wußte, konnte nicht kommen. Damals arbeitete eine Freundin von Blixa dort. Davor an der Ecke, wo die S‑Bahnbrücken sind an der Yorkstraße, gab es noch ein Lokal, das “Risiko”. Da waren wir auch ganz viel.
TT Als ich zum ersten Mal Berlin besuchte, hat Heidi mich zu „XNP” geführt. da stand auch kein Name dran. Als ich zum Toilette ging, blickte sie mir irgendwie neugierig nach, ich wunderte mich ein bisschen. Auf der Toilette war das Klopapier so hoch gestellt, dass man es sitzend nicht erreichen konnte. Als ich zurückkam, sagte sie: „Interessant, nicht?“
PG XNP gibt’s nicht mehr, auch den „Dschungel“ nicht. Aber da waren wir auch sehr oft, weil es ganz in der Nähe lag.
TT Berliner Cafés sind immer sehr gut. Ich hatte dort viel Zeit und spazierte zwischen den Friedhöfen und Cafés umher.
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TT Wir wollen auch irgendetwas ganz Neues, was niemand gemacht hat, in diesem Eklipsenbuch ‑‑‑ aber es ist sicher so, wenn ich glaube, dass sei neu, hat jemand irgendwo es schon gemacht. Dieses 7×7 Units‑Methode fanden wir interessant und irgendwie neu, aber in der Tat hat das alles schon Robert Fludd im 17. Jahrhundert gemacht (lacht).
PG Schon gut. Kann ich nochmal dein Exposé gucken? Hmm … dies auch nicht gut, „Verlegung“. Man verlegt einen Teppich. „Verlegen“ heißt auch schüchtern. ,Ich bin verlegen’. Aber dies ist „Verlagstermin“.
TT Tja! Das war’s. Warum ist schüchtern und Buch machen dasselbe Wort?
PG Eigentlich nicht dasselbe …. gut, gut. Nicht interpretieren, ja, nicht interpretieren sondern konstruieren, experimentieren, ja‑ Ein offenes Ensemble, ja, offenes Ensemble …, oder ein Dispositiv, oder eine Anordnung verschiedener Ebenen … ist’s besser ja? Wie viel? 300 Seiten ja? Und Format?
Ach ja. Und Seiten von hier nicht? Oder von hier? Seite 1 ist hier, nicht? Doch, ja? Und es gibt sogar japanische Bücher, die so europäisch anfangen, nicht? Inzwischen nicht? Manchmal ja? Nee, finde ich auch nicht gut. Das ist kulturlos. Es ist eine Kultur, dass man von hinten nach vorn schreibt, so muss es sein.
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PG Aber ich habe auch noch ein Thema für dich: ‚Sprechgesang’. Z.B. wenn man spricht und gleichzeitig singt. Also Cage hat das zum Teil gemacht, kommt eigentlich von Wagner. Und das hat hier seine Fortsetzung gefunden, in dieser ganzen Rapmusik und Hiphop. Das ist ja alles Sprechgesang. Das ist reden, aber gleichzeitig rhythmisieren sie und sprechen. Das ist sozusagen ein Wortton, immer ein Übergang.
TT Stockhausens Jünglingsgesang, oder auch Orpheus´ Hymnen?
PG Ja, ja ja, auch so etwas. Das war auch so eine Figur von Heiner Müller. Sprechgesang hat Blixa und Heiner Müller zusammengebracht, und seitdem haben sie sich dann auch zusammengetan und haben ’89 auch zusammen Hörspiele gemacht: Hamletmaschine, Bildbeschreibung. Heiner Müller hat in meiner Wohnung gewohnt. Und er hat dort auch einige Stücke geschrieben, in der Wohnung, u.a. auch Bildbeschreibung, und das hat Heidi in ein großes Bild übersetzt. Und davon wollten wir mit Blixa zusammen einen Film machen oder ein Video. Aller wir haben es nicht geschafft.
TT Ihr Europäer habt die schöne Gewohnheit der “Vorlesung”, nicht? Wir haben das nicht, und deshalb fällt es schwer, was Sprechgesang ist.
PG Ich meine, vielleicht ist in Japan Lektüre mehr eine Intimität. In Deutschland wurde der Sprechgesang durch den Minnegesang im Ausgang des Mittelalters eingeführt, im 11., 12. Jahrhundert. Und dadurch gibt es die Tradition des Liedes. Während die japanische Kultur erst mal höfisch war.
TT Auch in Japan gab es im Mittelalter viele ‘Sprechgesänge’, nicht am Hofe, sondern auf den Straßen, aber ich glaube, sie wurden immer wieder von der Hochkultur absorbiert und gingen verloren, denn im Japanischen ist die Distanz zwischen dem geschriebenen und dem gesprochenen Wort zu groß: Schrift und Sprache. Im Japanischen konnten die Sprechgesänge nicht überleben.
PG Die Sprache ist doch immer optisch, nicht? Die Zeichen sind … die bedeuten ja was. Das sind nicht nur die Buchstaben, das sind Piktogramme, nicht? Eigentlich auch eine Reduktion eines Optischen, nicht?
TT Ja natürlich, Alphabete sind in diesem Sinne doch auch optisch. Aber z.B … ihr könnt ein ganz schwieriges Buch, z.B. Foucault vorlesen und das hören und verstehen, nicht? Auf Japanisch ist dies fast unmöglich. Es gibt immer mehrere Worte, 10 oder 20 phonetisch gleiche Worte, die je andere Bedeutung haben, und das besonders bei schwierigen, abstrakten philosophischen Begriffen. Foucault oder Deleuze einfach vorlesen und hören, dann versteht man gar nichts, ohne zu fragen, wie man jedes Wort in Kanji schreibt: und das vielleicht mehrmals pro Zeile, unzählige Male pro Seite. So ist die japanische hochkulturelle Sprache, immer noch, unbedingt. Ohne die visuelle Natur der Kanjis kann man nichts verstehen. Eine sehr behinderte Sprache sozusagen.
PG Aslo weißt du, jede Behinderung hat auch ihre guten Seiten. Also jemand, der nicht gucken kann, ein Blinder, liest ein Wort anders, vielleicht besser und genauer. Und so hat jede Behinderung auch immer ein Plus. Man darf nicht über die Behinderung nachdenken, ohne deren Plus zu berücksichtigen. Denn es gibt ja wahrscheinlich auch Vorteile gegenüber den europäischen Sprachen …
TT Ja, sicher, man kann z.B. in diesem Buch diese „Vorteile“ am besten benutzen, also das Visuelle des Japanischen. Aber je intensiver visuell dieses Buch würde, desto mehr würde es sich von der „Stimme“ Blixas entfernen. Das ist ein Problem.
PG Ja, ja ja.
TT Unter dieser gutenbergischen Krankheit …
PG (lachen)
TT mag das Japanische vielleicht stärker leiden als europäische Sprachen.
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TT Es gibt übrigens noch eine interessante Geschichte. Ich werde dieses Eklipsenbuch nach jahrelangen Mühen irgendwann fertig stellen, und möchte es Blixa widmen: „hier, endlich, das ist Ihr Buch!’“, aber er kann es nie lesen, weil es auf Japanisch geschrieben ist.
PG Nein, natürlich.
TT Ich habe ihm einige Mal geschrieben und gefragt, was er davon hält, aber er hat nicht geantwortet, und ich weiß nicht, was er denkt.
PG …Wenn du es wirklich fertig stellst und damit wieder nach Berlin kommst, können wir bei uns ein Party machen, da kannst du vielleicht eine Lesung machen über dieses Buch. Vielleicht können wir Blixa und mehrere Leute einladen, japanische Germanisten, z.B., um dieses Buch bekannt zu machen oder so …
TT Ach, es wäre schön, wenn ich das machen könnte! Es ist sehr freundlich, dass du das vorschlägst. Ich danke dir von Herzen … aber … … ja aber…ich hin dankbar, danke auch Blixa sehr. In der Tat hat er mir für dieses Buch viel kostbare Zeit abgegeben und mich viel gelehrt. Deshalb denke ich jetzt oft darüber nach, was ein Buch ist, oder wie Töne und Stimme und Buchstaben miteinander zusammen hängen: zu solchen Gedanken hat er sozusagen mir einen Anlass gegeben, und vor allem war er es, der mich zum ersten Mal zu Merve, zu Euch geführt hat. In vielen verschiedenen Sinnen danke ich ihm herzlich, und dieses Buch mag auch ein Zeichen meines Dankes sein. Aber der, dem ich dieses Dankeszeichen widmen will, kann es nie lesen …. Das ist eine Tatsache, und diese Tatsache muss wahrscheinlich so bleiben, das ist … interessanter, glaube ich. Dieses Buch hat vielleicht auch das Thema „zwischen“.
PG Ja, ja.
TT Andererseits überlege ich manchmal … wenn es einmal ins Deutsche oder ins Englisch übersetzt würde, wäre es auch interessant. Ich übersetze hier Blixas Texte und schreibe Haupttexte und Anmerkungen. Irgendwer übersetzt das ganze ins Englische und schreibt Anmerkungen. dann übersetzt irgendwer das ganze ins Deutsche und schreibt wieder neue Anmerkungen. Dann und dann und dann … In diesem Buch funktionieren Anmerkungen nicht bloß als Anmerkungen, sondern sind sie auch Nebentexte, also werden diese Nebentexte immer wieder erwachsen, und das Buch selbst, nämlich das Format des Buchs wird immer größer. Es wäre interessant. Aber es ist bloß ein Traum.
PG Es gibt so ein Spiel, einer flüstert etwas ins Ohr des nebenstehenden der richtet es aus dem Nächsten, der dem Nächsten und …. dann am Ende wird der Satz ganz anders, alle Zusammenhänge mit dem ersten gehen verloren. Eine Metamorphose.
TT Jaja. Aber vielleicht hat schon in diesem japanischen Buch alles bereits keinen Zusammenhang mit dem eigentlichen Blixa.
PG Auch schon gut.