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Gärtner ist,
wer mit einem Spatenstich
den Wurm im Erdreich teilt.
Was macht man nicht alles im Garten: graben, stechen, hacken, harken, jäten, schneiden, zupfen, rupfen, wässern, gießen, sprengen, säen, pflanzen. Und wenn man sich aus der gebückten Haltung aufrichtet, wird einem plötzlich schwarz vor Augen. Für ein Weilchen liegt man dann im Liegestuhl in der Sonne wie ein Genesender und lauscht den Vögeln. Danach gehts anders weiter.
Als Kinder in den Sommerferien auf der Schaukel in Großmutters Garten im Osten. Ich erinnere mich noch an die Gartenlaube und den Geräteschuppen, an den Donnerbalken und die Regentonne, an den Apfelmost und die Haselnüsse, an die Bienenkästen und den ersten Wespenstich. Im oberen Teil des Gartens das Haupthaus unzugänglich, verstaatlicht. Im unteren Teil des Gartens zur Straße hin eine Sichtblende aus Strohmatten. Dafür durfte man im Freien an reiner Luft alles sagen, das war uns schon als Kindern klar.
In der Mitte des Gartens, unter der Eiche die Holzbank. Über den Randbegrenzungen der ewige Efeu. Dann und wann wurde eine Fuhre Mist abgeladen. Wir Kinder standen daneben mit zugehaltener Nase. Aber wir rümpften sie auch, wenn die Großmutter in den frühen Morgenstunden mit dem Henkeltopf in Richtung Gurkenbeet verschwand. Früher hatte sich der Großvater am Spargelanbau versucht, später lag er nur noch im Schatten und schnarchte.
Als Kinder von Kaufleuten spielten wir Gemüseladen und handelten Unkrautblätter gegen Kieselsteine, Wir kannten Pusteblumen und Knallerbsen. Aber auch Terrassen, Rabatten, Pergola und Palisade waren uns keine Fremdwörter. Unsere besondere Neugier galt den Maulwurfshügeln und natürlich mußten auch die Maikäfer dran glauben, Großmutters Stolz waren die Dahlien und wenn es Feste zu feiern galt, wurden die Blumen körbeweise geopfert.
Später dann beim Hausbau der Eltern im Westen mußten wir als Jugendliche ran. Den erworbenen Acker umgraben und Quecken (Rhizome) ziehen. Der Rasenmäher stand in der Garage und fürs Mähen gabs ein Extra-Taschengeld. Sportrasen, versteht sich. Im Mittelpunkt des Gartens der Swimmingpool. Für die jungen Laubfrösche von besonderer Attraktion. Ansonsten Sträucher und Bäume im Gruppenbestand als Vegetationsgemeinschaft. Wir lernten, was wir kannten, nach Arten und Sorten zu ordnen, Nachtschattengewächse und Lippenblütler, und wir wurden über das Geschlecht der Blüten aufgeklärt. Das junge Gemüse wie Vater uns nannte, war bald ins Kraut geschossen und schon zeigten sich Knospen und regten sich Triebe. Der rote Kirschmund bekam seinen ersten Kuß auf der Hollywoodschaukel und an den Sommerabenden war die Grillparty angesagt.
Dann und wann wurden Torfballen und Kalk für den Kompost angeliefert. Im Vorgarten standen die Koniferen und Rhododendronsträucher, eingefriedet mit einem Jägerzaun. Mutters Stolz waren die Kübelpflanzen und die Adenauer-Rose. Vater benutzte den Garten zum Abschalten. Und neben dem Wäschetrockenplatz lehnte ein hölzernes Wagenrad.
Irgendwann einmal schloß sich auch dieses Gartentor hinter mir und ich sollte die Landschaftsgärten dieser Erde kennenlernen: die duftende Flora der französischen Seealpen, den schattigen Olivenhain, die blühenden Moose Lapplands, die biblische Palmenoase, den Windhauch über dem japanischen Steingarten, das tropische Gewächshaus mit Lotus, Orchideen und Schmetterlingen und zwischen den Gleisen natürlich den Schrebergarten in Berlin.
Geschichtlich steht der Garten an der Schwelle zwischen den alten Wandervölkern und den Seßhaften. Und gehegt wurden in diesem umschlossenen Grund Wohnstätten wie Gewächse, Städte wie Anlagen. Erst der Seßhafte hat eingezäunt und sich von außen nach innen gezogen.
Als die Berliner Mauerumfriedung erste Risse zeigte, da suchte sie bestürzt Zuflucht im Irrgarten, diesem Refugium für empfindsame Seelen. Hier wurde das Unkraut in Ziertöpfe verpflanzt und auf die Wege Wellenlinien geharkt, denn auch dieses Fleckchen Erde auf Erden sah sich von den Weltmeeren umspült. Der Garten als Landkarte, als Teppich. Und zur Mittagsstunde, dieser Zeitenwende, wurden in jeder Himmelsrichtung im Uhrzeigersinn drei Sonnenblumenkerne gelegt.
Der Garten ein Kosmos, die Parzelle ein Universum, hinter dem Drama der Individuation ins All zurück. Die Atmosphäre der Erde hält für die wurzelgebundenen Geschöpfe ein weitgespanntes Gebiet der Kräftestrahlung bereit. Und um etwas zu trösten in der Einsamkeit, säte die zarte Seele Ziergäser, in der Hoffnung, sie mögen schnell wachsen. Und wenn der Irrsinn Freude feierte, wurden Papierschnipsel ringsum verstreut, denn die Blüten, die Gesichter hatten, durften dafür nicht geköpft werden. In der Gebärdensprache der Pflanzen sah sie Geister von Lebenden und Toten. Und in der Weltabhandenheit wurde die (Zigaretten)-Asche unter der Erde verscharrt.
Was wurde nicht alles im Garten vergraben. Ganze Festungen verwahrter Lebenskraft liegen im Boden unter den Pflanzengebäuden. Hortus conclusus, Ideal des Gartens, an dem nichts spricht als das Geheimnis der Verschlossenheit. In der geschlossenen Heilstätte dann, dem geschützten Hort des Klinikparks, lugte ein Bunker aus dem Erdreich und wuchs ins Sichtbare. Und das vegetative Nervensystem zuckte die Schultern: warum nicht, wenn jetzt sowieso schon überall grüne Tankstellen aus dem Boden schießen? Solch blühender Unsinn gedeiht nur in wirren Zeiten. Oder aber: Ein Raum, gewidmet der Weisheit in einer Wahnsinnswelt.
Unter den Heterotopien hat der Garten irgendwo zwischen Bühne, Museum, Bibliothek, Orchester und Tempel seinen Ort. Den einen ein urtümliches Bedürfnis wie Beten, Trinken und Lieben, den anderen ein Betätigungsfeld ästhetischer Neigungen. Poesie, Malerei, Philosophie – wer hätte nicht vom Garten gelebt? Goethe hat sich als Werther Erbsen gezogen. Die Wachstumsspiele der Ranke als Zierform für Ornament, Metapher, Symbol. Und Monet’s Seerosen – woher käme das flirrende Licht-und Farbenspiel, wenn er den Teich nicht angelegt hätte? Und hat nicht manch ein Philosoph seine Seminare im Garten abgehalten? Es mag mancherlei Stile geben, allein der Weg zur wahren Blüte in der Kunst ist vorgezeichnet. Meister Seami hat das Tor beschrieben, das den Zugang zum Kunststil der höchsten Blüte der Schauspielkunst ermöglicht. Und was macht der greise Komponist von Silence? Er gießt kommentarlos seine Pflanzen, umspült vom Straßenlärm Manhattans. Schöpferische Naturen wissen um den Gedanken der Wiedergeburt, des Wiederauflebens und Neu-Erschaffens. Es ist die Pflanze, die den Menschen über das Zyklische seines Schicksals ahnungsvoll in Kenntnis setzt.
Heilige Gärten und Götterfeste, Heilpflanzen und Klostergärten, Ziergarten und Musentempel, Parzelle und Universum, Animismus und tieferer Zauber.
Was solls? Wer keinen Garten hat, dem bleiben die Strohblumen, die Immortalis oder das Immergrün des Friedhofs. Ich habe noch Sonne im Herzen und eine gepreßte Pflanze im Poesiealbum. Und ich freue mich schon auf den Herbst, wenn die Bäume im Rausch sich leuchtend verabschieden. Am Ende deckt man die Pflanzen mit Zweigen zu. Winterschlaf. Erde zu Erde, Asche zu Asche. Vergißmeinnicht.
Nachtrag zur angefangenen Geschichte: Der Garten der Jugend war mit den Eltern alt geworden. Die Plattenwege moosbewachsen. Aber für die wiedervereinigte deutsche Großfamilie wurde im Garten ein Bierzelt aufgeschlagen, damit keiner draußen im Regen stehen muß.
In: “Ortszeit” – Ausstellung und Katalog, 1992 Mecklenburgisches Künstlerhaus Schloss Plüschow, kuratiert / hrg. von Christine Hoffmann
3 Jahre später mit Toshiya Maede, Mitarbeiter des Büros Takamatsu
Ab- und Zufälle III von Ellen Mund, Berlin 1995, S. 75-80