Musée antiégoïste. Reisen mit der Kunst
Verehrte Damen und Herren, liebe Freunde,
ich habe vorzustellen das Musée antiégoïste von Johannes Gachnang
erschienen im Verlag Sonderzahl, Wien
herausgegeben von Christiane Meyer‑Thoss.
Alte Männer sind gefährlich, sie scheren sich einen Dreck um die Zukunft. Das ist die Haltung des Egoisten. Manche reifere Herren holen aber auch bedächtig die Ernte ein und kultivieren den Humus, die Ablagerungen der Jahre. Einer davon ist Johannes Gachnang, der seinen Weinberg zu pflegen weiß.
Ich brauche Ihnen Johannes Gachnang nicht vorzustellen, wir kennen ihn alle: nobel und stattlich, feine Kleidung aus englischem Tuch, für ihn die schönste Nebensache der Welt, den Borsalino‑Hut, das Etui mit den Havannas, den Füllfederhalter, mit dem er bedächtig die Buchstaben zieht wie ein Graveur. Gachnang ist ein Gentleman oder ein Mann von Welt, der sich in Szene zu setzen weiß und den sicherlich immer einige hohe Gedanken begleiten. Bei seinen feinsinnigen Beobachtungen im Getriebe der Kunst weiß er sehr wohl den Schmeichler vom Freund zu unterscheiden. Auf seinen Reisen mit der Kunst ist von früh an im Gepäck mitgereist Dostojewskijs Buch Der Spieler. Von daher vielleicht die Einsicht: “Wir wollen nicht siegen, ich selbst für meinen Teil möchte nur gewinnen.”
Um zu gewinnen, braucht der Künstler Glanz und Durchsetzungsvermögen. Und Gachnang weiß mit Gracián seinen Glanz immer wieder zu erneuern. Das ist das Vorrecht des Phönix.
Ich habe hier keine fachspezifische Würdigung vorzutragen, auch geht es hier nicht um die Einschätzung einer literarischen Größe. Es ist eher eine Annäherung seitens einer Leserin.
Anfangs habe ich am Tische sitzend Notizen gemacht, aber schon bald hinüber aufs Sofa gewechselt, um die Lektüre zu genießen. Es ist eine gewisse Stimmung, die mit der Schrift aufkommt. Nicht so sehr der Tonfall oder Duktus, auch nicht das einzelne Wort, eher ein umschreibendes Malen, ein Kreisen, das Atmosphäre schafft von der Rändern her:
ein Tisch im Hotelzimmer wie ein kleines Stilleben, das zur Meditation anregt oder der feierliche festliche Vortragssaal zur Matineezeit am Sonntagvormittag. Man weiß oft nicht, warum dem Autor bei dieser oder jener Gelegenheit seines Vortrages oder Textes diese oder jene kleine Begebenheit einfällt und in welchem Zusammenhang sie zum Anlaß des Gesagten stehen, aber diese Erinnerungen oder Wissenseinsprengsel sind plastische Miniaturen, Kleinode, die wie Inseln im Meer des Gesagten hervortreten.
Gachnang sagt dazu: “Wir finden die Nähe zu den Dingen wieder verstärkt im Detail.”
Gachnangs Texte sind Erinnerungen, Zitate, Abschweifungen, Geschichten von Büchern, Künstlern, Ausstellungen, Bildern, Bauten. Gedanken, die navigieren, manchmal weit draußen auf hoher See.
Zitat: “Die Lage des Schreibenden hat sich keineswegs gebessert; ernsthaft frage ich mich inzwischen, was mich antreibt, zu schreiben und weiterhin Aufgaben zu übernehmen wie Ausstellungen zu organisieren, die Mühen auf mich zu nehmen, um weitere Aussagen zur Kunst dieser Zeit zu machen, um die Geschichte meiner Bilder noch einmal, wenn auch auf andere Art und Weise als beim letzten Mal, zu erzählen? … Vor 30 Jahren hat Polke verlauten lassen ‘Wir müssen die Sache selber in die Hand nehmen’, und seither sind wir dabei, die Sache nicht mehr aus der Hand zu geben.”
“Bin ich inzwischen weitergekommen. Komme ich mit meinem Gesumse weiter?”
“Es liegt an uns, die Insel unserer Träume zu wählen, um dort eine eigene Realität zu schaffen.”
“Meinem Wunsche nach sollte es sich bei unserer Sache um eine Art Ornament oder Erzählung mit kleinen Fehlern an den Rändern handeln, denn einzig diese können die Sache der Kunst über das Gespräch und die ausgestellten Werke weiterbringen.”
Bei Gachnangs Texten geht es in der Tat um Ornament, Muster, Girlanden, Schlaufen, um Haltestellen des Werdens auszumachen, einer Ästhetik der Brüche folgend. Natürlich geht es dabei auch um Wahlverwandtschaften und Mentalitätsräume. Das Suchen verstanden als schöpferischer Prozeß. Reisen und Umwege in Kauf nehmend, wider das Gesetz der Effizienz, zur Schaffung eines Erlebnisweges. Und Gachnang sagt dazu:
“Mit Erinnerungen und Erlebnissen im Kopf habe ich bisher immer wieder meine Ausstellungen zu gestalten versucht, eigentlich wider die Erfahrung der Kunstgeschichte, war ich doch weniger an der Geschichte, kaum an Form und lkonographie, als vielmehr am Rätsel der Form oder dem Geheimnis des Künftigen interessiert, das zu ergründen wohl immer mein eigentliches Ziel bleiben wird.”
“Den Ort einer Ausstellung verstehe ich dabei noch immer als Generator geistiger Kräfte und keineswegs als Marktplatz.”
Gachnangs facettenreiche Betrachtungsweisen sind immer auch getragen von der Sehnsucht nach dem nie Gesehenen. Bemüht, den schöpferischen Diskurs des Künstlers nachzuvollziehen, geht es um ein neues Sehenlernen, das schauend liest, begreift und zu verstehen sucht. Dabei geht es auch um die Versinnlichung eines geistigen Gehalts. Und Gachnang stellt lakonisch fest:
“Was uns der Künstler sehen läßt, ist möglicherweise wenig, aber weder zu übersehen noch zu negieren.”
Oder an anderer Stelle:
“Ich habe alles gesehen und darüber nachgedacht, darf vorerst aber nur schreiben.”
Und schreibend trägt es unermüdlich Worte und Fakten zusammen, um seiner Bewunderung der Bilder Stimme zu geben, oder um größere Zusammenhänge herzustellen, um daraus wieder Geschichten zu bilden. Aber am Anfang war das Bild, und Gachnang entwirft mit Worten Bilder, die erzählen.
Einmal stellt er Überlegungen an, auf welchem Wege der Pilger die Welt umkreise, ob mit dem Uhrzeigersinn oder gegen den Uhrzeigersinn. Als Reisender in Sachen Kunst interessiert sich Gachnang folglich für Routen, die verschiedenen Herangehensweisen der Künstler, ihre Wandlungen und Werdensprozesse. So gesehen ist Gachnang der Begleiter, Freund und Gesprächspartner der Künstler, selber immer schon unterwegs und eingeschifft.
Verblüffend wie Gachnang in der Zusammenstellung von Werken und Namen oft dahin kommt, die Kunstgeschichte anders zu lesen und zu interpretieren. Wie er einmal das Dreigestirn Warhol‑Byars‑Ruscha zeichnet und den Stern Gauguin hinzufügt. Immer wieder tauchen Autoren wie Samuel Beckett oder Joseph Conrad auf. Umwege verheißen Gachnang oft unerwartete und anregende Momente.
Am weißen Tisch des Geometers finden wir eine solche Fülle von Fakten, Namen, Schauplätzen, Querverweisen und Anspielungen, daß man sich in einem Krimi glaubt.
Im Verhältnis von Bild und Wort stellt Gachnang mehrmals die Frage, wer wem davongelaufen sei: der Künstler dem Philosophen oder die Philosophen den Künstlern? ‑ Aber daß bildende Künstler auch zukünftig Texte benötigen und beanspruchen werden, steht für Gachnang außer Frage.
Widersprüche begreift Gachnang als Quelle von Energien. Und von seiten der Philosophen darf ich ihm zurufen: Widersprüche sind nur verschiedene Stufen des Humors.
Leidenschaftlich diskutiert wird die einfache wie naheliegende Frage, wann eine mit Farbe bedeckte Leinwand zum Bild dieser Welt oder zu einem Stück guter Malerei geworden ist.
Und: Für jeden Künstler bleibt es die große Aufgabe, die richtigen Fragen zur richtigen Zeit zu stellen.
Die Entscheidung für das richtige oder das falsche Bild wird uns Interessierte auch angesichts des Informationsstroms nicht abgenommen.
Zitat Gachnang: “Mitunter bin ich verwundert, daß man in unseren Tagen überhaupt noch Ausstellungen lebender Künstler organisiert.”
Solche deutlichen Töne sind selten in dem Buch. Geht es ihm doch eher ums Andeuten als ums Ausdeuten, bei den wechselnden Feldern der Aufmerksamkeit immer auch bemüht um Verweise auf Quellen und Wurzeln einer geistigen Landschaft.
Linien freizulegen wird für Gachnang im Laufe der Jahre immer bedeutungsvoller, vor allem aber lernt er zu genießen, denn mit der inzwischen gewonnenen Übersicht wird alles klarer und reicher.
Das Musée antiégoïste ist der Idee der Gemeinschaft verpflichtet, der Gemeinschaft mit Menschen, Bildern, Bauten, Büchern im Glauben an die Kunst.
Ich habe Ihnen bewußt verschwiegen, welche Werke im Musée antiégoïste ausgestellt sind, mir ging es eher um die Atmosphäre und die Haltung.
Klar ist, es ist keine Übersichtsausstellung, denn es geht weniger darum, Kunstgeschichte zu schreiben, sondern darum, eigene Erfahrungen mit dem Verlauf schöpferischer Prozesse hinzuzugewinnen.
Gachnang sagt: “Die Stücke des Museums sind Erinnerungen und sie gehören unserer Zeit an. Die Zukunft wird zeigen, ob sie etwas anderes oder mehr sind als nur Erinnerungen.”
Von Seiten der Philosophen darf ich Gachnang zurufen: “Die Kunst ist nie ein Ziel. Sie ist nur ein Mittel, um Lebenslinien zu ziehen.”
Gachnang hat als Reisender in Sachen Kunst seinen Weg unter die Füße genommen und oft waren dabei seine Vorstellungen von einer Sache viel stärker als die Sache selbst. Solche Phantasmen beflügeln sein Tun und tragen somit die Dinge über die Zeit hinweg.
Frankfurt am Main, 7. Oktober 1998, Galerie Grässlin.